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Eine eher ausladende doch nicht weniger wichtige Antwort auf „Gedanken zum Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb linker Zusammenhänge von eineR BeobachterIn“, die zur Analyse der Gesamtverhältnisse eskaliert

Saturday, March 17th, 2018

verfasst von einer Beobachterin, Freundin, Genossin der Betroffenen, nicht nur des aktuellen Falles

Erster Akt: Was ist hier grundsätzlich das Problem?

Wie in der Überschrift angekündigt folgt auf den nächsten Seiten eine Analyse der Kritik am vorgehen von Unterstützer*innengruppen und Betroffenen in Fällen sexualisierter Gewalt. Hierbei orientiere ich mich an einem aktuellen Beispiel, dem derzeit im Umfeld eines Falles kursierenden Schreibens mit dem Titel „Gedanken zum Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb linker Zusammenhänge von eineR BeobachterIn“. Sehr wahrscheinlich ist das Lesen meines Textes, beziehungsweise das Verständnis der Zusammenhänge einfacher, wenn dieser Text bekannt ist. Allerdings bedient sich der besagte Text altbekannten Argumentationsmustern, dessen Analyse und Diskussion auch ohne Kenntnis des Textes möglich sein sollte. Somit können und sollen die folgenden Seiten durchaus als eine Art Antwort, nicht nur an „den/die BeobachterIn“ und KommentatorIn dieses Falles, sondern als ein allgemeiner Beitrag zur Diskussion um den Umgang mit sexualisierter und Beziehungsgewalt in linken Strukturen gelesen werden.

Die Sache mit dem Timing

Zuallererst: Diskussion und Auseinandersetzung: Ja bitte!

Allerdings ist der Zeitpunkt, wie auch hier geschehen, direkt nach dem Bekanntwerden eines aktuellen Falles meines Erachtens nach überraschend unpassend. Zwar finde ich grundsätzlich verständlich, dass aktuelle Ergebnisse dazu anregen, generell schade, dass dies immer erst dann passiert. Würden selbige Auseinandersetzungen zu anderen Zeitpunkten und unabhängiger von aktuellen Beispielen passieren (und im Gegensatz zu der verfassenden Person sehe ich die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt innerhalb linker Zusammenhänge leider keinesfalls als andauernden und fortschreitenden Prozess sondern vielmehr als eine immer wieder punktuell aufflammende Debatte, wenn etwas konkretes geschieht), würde dies unter Umständen vermeiden, was hier in meinen Augen akut passiert:

Allgemeine Forderungen werden vermischt oder in Verbindung gebracht mit einem aktuellen Fall, was insofern fatale Auswirkungen haben kann, als dass hier ganz offenbar zwar aus einer beobachtenden, aber leider wenig oder nicht ausreichend informierten Sicht geschrieben wird. So passiert es mehrfach, dass Tatsachen zu Verlauf und Umgang der Unterstützungsarbeit vorausgesetzt werden (Beispiele folgen im Verlauf), die nicht den Fakten des aktuellen Falles und Standes entsprechen.

Da dies aber nicht sichtbar wird, verleitet es Lesende zu Schlussfolgerungen, die sowohl Betroffene als auch Unterstützende in ein falsches Licht rücken und schlicht Fehlinformationen verbreiten (in diesem Fall: es gäbe keine Auseinandersetzung mit dem Täter, Isolation des Täters wäre eine Forderung der Betroffenen- um nur zwei Aspekte zu nennen, in denen die schreibende Person offensichtlich falsch informiert ist), was eine „szeneinterne“ Auseinandersetzung erschwert.

Wer fordert eigentlich was von wem?

Weiter vermischen sich hier Forderungen und Behauptungen, die an unterschiedliche Menschen und Gruppen gestellt werden sollten zu einer Masse und konzentrieren sich in Form an im- oder expliziter Kritik an Betroffenen und deren Unterstützenden.

Das beste Beispiel ist hier der nachdrückliche Ruf nach Unterstützung für den Täter, vermischt mit der Unterstellung, hier würde Isolation gefordert oder gar durchgesetzt werden. Prinzipiell ist es richtig, dass die Auseinandersetzung mit der Ausübung von Gewalt und Übergriffen seitens des Täters eines Umfelds bedarf, das hierbei unterstützt (wobei es unablässig ist, dass diese Unterstützung auf der Solidarität mit den Betroffenen und nicht dem Täter geschieht). Diese Arbeit nun aber indirekt von Betroffenen und deren Unterstützenden einzufordern, indem die vermeidliche Abwesenheit selbiger im gleichen Kontext wie die Unterstützungsarbeit mit den Betroffenen kritisiert wird, ist fehlgeleitet. Die Kritik sollte sich an das direkte Umfeld des Täters richten, da dies deren Aufgabe sein muss und mit Nichten die der Unterstützenden der Betroffenen, die sich ebenfalls oftmals aus dem Umfeld eben dieser zusammensetzen. Wenn nun Freund*innen und Genoss*innen von Betroffenen (indirekt) aufgefordert werden, neben der psychisch und physisch kräftezehrenden Arbeit zur praktischen (zuhören, da sein, Alltags- und Lohnarbeitsverpflichtungen abnehmen, bei Ängsten und Panik zur Seite stehen und und und) sowie theoretischen (Texte verfassen, mit Menschen diskutieren etc) Unterstützung der oftmals traumatisierten Betroffenen nun auch doch bitte noch die Arbeit mit dem Täter nicht außer Acht zu lassen, empfinde ich dies als blanken Hohn. Es erschreckt es mich, wie schwer vielen die Erkenntnis fällt, dass der Umgang und die Arbeit mit dem Täter mehreren Gruppen zufallen kann und muss und nicht Aufgabe der Menschen sein kann, die die betroffene Person unterstützen. Dies scheint leider nach wie vor ein nahezu revolutionärer Gedanke zu sein.

Die Forderung weiter an die Unterstützenden zu stellen verkennt nicht nur den immensen Aufwand, den Unterstützer*innen leisten indem suggeriert wird, das selbige vornehmlich die staatliche Gewaltenteilung an sich reißen und „Wände beschmieren“ (zu beiden Punkten später mehr). Darüber hinaus wird hiermit weiter eine Täter/Opfer Umkehr angestoßen, indem die Unterstützung des Täters die gleiche (wenn nicht gar höhere) Priorität eingeräumt wird, wie die Unterstützung der Betroffenen. Weiter wird impliziert, dass der Täter, der so zum Betroffenen wird, durch das Vorgehen der Betroffenen und deren Unterstützenden selbst nicht handlungsmächtig sei. Sehr wohl ist es auch einem Täter möglich, beispielsweise Täterberatungen oder andere therapeutische Angebote zu nutzen oder anderweitig den Willen zu zeigen, sich mit seinem*ihrem Verhalten auseinander zu setzten und sich eventuellen Konsequenzen zu stellen.

Generell schwingt für mich bei der Forderung nach Täterunterstützung allzu oft eine mindestens latente antiemanzipatorische Haltung sowie die allgegenwärtige Angst vor „Fehlverurteilung“ mit. Auch dazu später mehr.

Der aus all dem nun akut entstehenden Problematik etwas entgegen zu setzen ist ein Punkt, der mich zu dieser Antwort bewegt.

Der zweite ist, dass ich nach über einem Jahrzehnt der Arbeit mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt, sowohl auf privater, aktivistischer als auch Lohnarbeitsebene und dem gleichzeitigen bewegen in linken Strukturen bei Diskussionen um „szeneinternen“ Umgang mit derartigen „Vorfällen“ auf die immer gleichen Argumentationsmuster stoße. Die „Gedanken der beobachtenden Person“ auf die ich mich hier beziehe, bilden quasi ein Musterbeispiel und lassen kaum einen Punkt aus. Diese Aspekte möchte ich im Folgenden als drei „Kritikpunkte“ benennen und diskutieren.

2. Akt: Kritik auspacken, angucken und im Zweifel auch mal als Ängste vor Gespenstern enttarnen

Kritikpunkt: „Verbannung“ und „Drohung“ als fehlgeleitetes Mittel zum Umgang mit Täter*innen

Ausschlüsse von Menschen aus Zusammenhängen als Allheilmittel zu kritisieren finde ich grundsätzlich richtig, insofern es die einzigen Maßnahmen sind und insofern weitere Maßnahmen, wie bereits erläutert, nicht von den Betroffenen und deren Unterstützer*innen gefordert werden. Bevor ich dies weiter erläutere, allerdings ein paar Worte zu „Verbannungen“, die ich eher als (unter Umständen) temporäre Ausschlüsse von Orten und Strukturen nennen möchte. Das sichere und angstfreie Bewegen der Betroffenen in ihren Räumen sollte im Vordergrund stehen. Dies ist oftmals kaum anders zu erreichen, als dem Täter zumindest zeitweise den Zutritt zu bestimmten Räumen zu verwehren. Geschieht dies nicht heißt das im Umkehrschluss, dass Täter in Ruhe feiern gehen, an Plena und Veranstaltungen teilnehmen, zum Fussball gehen können etc, während Betroffene unter Umständen aus Angst zu Hause bleiben. Ohne Ausschluss von Tätern also ein faktischer Ausschluss von Betroffenen. Die „Verbannung“ kann und muss in emanzipatorischen Räumen entsprechend einer solidarischen und (in diesem Falle) antisexistischen Praxis ein legitimes Mittel bleiben. Dieses Mittel gleichzusetzen mit der Forderung nach Isolation des Täters ist ebenfalls falsch. Ausschlüsse wie die genannten sind nicht das gleiche wie die Forderung, niemand möge sich mehr mit dem Täter befassen, alle seine Freund*innen sollten sich sofort abkehren und er möge aus der Stadt gejagt werden. Selbiges wurde noch in keinem mir bekannten Fall explizit gefordert. Die Forderung an das Täterumfeld, sich kritisch mit Tat und Täter zu befassen ist NICHT gleichbedeutend mit der Forderung nach totaler Abkehr! Dies wird daraus vorschnell, wohl auch von der in diesem Fall schreibenden Person, geschlussfolgert, wobei sich Betroffene in den meisten Fällen explizit wünschen, dass Freund*innen des Täters sich nicht einfach davon machen, sondern sich der betroffenensolidarischen Arbeit mit dem Täter stellen. Dies ist durchaus im Rahmen einer Freundschaft möglich. Das legitime Fordern, dass sich Betroffene angstfrei bewegen können und somit Täter wie erklärt von manchen Orten etc ferngehalten werden ist also mit Nichten mit so schön plakativ gewählten Schlagwörtern wie Knast oder Isolation gleichzusetzen. Stichwort bleibt auch hier Täter/Opfer- Umkehr.

Und ganz davon ab, ich möchte mir beispielsweise meine Ausgeh- und Politorte nicht mit Vergewaltigern teilen und diese Haltung erwarte ich auch von Genoss*innen. Dies sollte mindestens so selbstverständlich sein wie beispielsweise der Ausschluss bekannter Faschos, und es sollte ebenso wenig Gegenstand von Diskussionen sein.

Zurück zu der Forderung nach anderen/ergänzenden Methoden:

Diese Forderung darf, und ich wiederhole mich hier gern, nicht an den Betroffenen und deren Unterstützenden hängen bleiben.

Es wäre mehr als wünschenswert, dass es bessere Möglichkeiten gäbe. Sich Betroffene beispielsweise darauf verlassen könnten, dass es in Zitat „sozialen Strukturen, die als wünschenswert und antisexistisch gelten“ funktionierende Interventionen, beispielsweise aus dem Freund*innenkreis der Täter*innen gäbe. Konkret meine ich hier, dass es ganz andere Verhaltensmöglichkeiten gäbe, würden Betroffene gehört und ernst genommen werden, wäre es selbstverständlich oder zumindest wahrscheinlich, dass eben die genannten Strukturen es schaffen würden, plakative Ideale durchzusetzen, wenn gewalttätiges Verhalten plötzlich von Menschen aufgedeckt wird, mit denen mensch befreundet ist. Leider sieht die Realität anders aus. Wenn es auf einmal der Kumpel/ Genosse/ Partner ist, der sich als Täter herausstellt, ist die Reaktion oftmals eine verteidigende, verweigernde, wegschauende. Wäre es klar, dass sich Umfeld und Freund*innen des Täters zunächst mit der/den Betroffenen solidarisieren würden um dann die wichtige, fordernde und oft emotionale Arbeit mit dem Täter zur Reflektion seines Verhaltens und den entsprechenden Konsequenzen zu übernehmen, ja, dann würden Betroffenen unter Umständen andere Forderungen zur Verfügung stehen. Dies ist erfahrungsgemäß aber eben sehr, sehr selten bis nie der Fall und mit Sicherheit nichts, worauf sich verlassen werden kann.

Kritik: Das bringt ja im Übrigen auch garnix!

Weiter steht nun die Aussage seitens der beobachtenden Person im Raum, dass Ausschlüsse und Drohungen nichts am Verhalten des Täters ändern und zukünftige Betroffene nicht schützt. Abgesehen davon, dass dies, wie ich gleich erläutern werde, so nicht unbedingt zutrifft möchte ich zunächst darauf lenken, was hier eigentlich im Vordergrund steht: Nämlich das Gehörverschaffen von Betroffenen. Das erleben von Gewalt kann vielfältige Konsequenzen für Betroffene haben, ebenso vielfältig sind die Umgangs- und Verarbeitungsmechanismen. Trauer, Scham, Hilflosigkeit und Angst können genauso im Raum stehen wie Wut und Ohnmacht. Die wenigsten dieser Gefühle dürfen in der Gesamtgesellschaft als auch in linken Strukturen wirklich Raum einnehmen, beziehungsweise werden diese durch ein zunächst argwöhnisches Verhalten gegenüber Betroffenen, die den Mut finden sich zu äußern sowie die reflexartige Verteidigung von Tätern eher verstärkt und begünstigt. Ich finde es wichtig, dass Betroffene (und deren Unterstützende) ein Recht auf Wut und auf deren Ausdruck haben. Wenn nun Menschen, wie beispielsweise das Umfeld von Tätern und nicht zuletzt natürlich die Täter selbst beispielsweise durch das Anbringen von Graffiti zur Auseinandersetzung, der sich sonst verweigert wird, gezwungen werden, finde ich das ein politisch legitimes Mittel. Mehr dazu gleich, wenn es um den konkreten und aktuellen Fall gehen soll.

Auch wenn ich natürlich zustimme, dass es sinnvoll ist ein Vorgehen zu entwickeln, dass das Verhalten des Täters beeinflusst und zukünftige Betroffene schützt bleibt mir ein bitterer Beigeschmack bei dem Gedanken, dass ein konstruktives, möglichst emotionsfreies Verhalten zunächst von Betroffenen und deren Strukturen verlangt wird, oft vor allem auch, weil der Umgang mit dem Täter sonst als „zu hart“ empfunden wird. Schnell wird dies ein weiterer Schlag ins Gesicht für Betroffenen und ein Hindernis im Umgang und Ausleben der Emotionen, die als Reaktion auf Gewalt und zur Verarbeitung dieser wichtig sind. Wie oben bereits erwähnt, sollte eine solche konstruktive Arbeit viel mehr in der Aufgabe des direkten Umfelds des Täters liegen (oder aber bei darauf spezialisierten Stellen und Gruppen) und somit auch als Forderung an diese und nicht als Kritik an Betroffenen und Unterstützende gestellt werden.

Abschließend dazu möchte ich hier anmerken, dass Ausschlüsse verbunden mit klaren Botschaften sehr wohl eine Auswirkung auf das Verhalten von Tätern haben (können). Oftmals ist dies das erste Mal, dass sich Konsequenzen aus dem gewaltvollen Verhalten seitens des Täters ergeben, die über den ganz engen privaten Kontext hinaus gehen. Die Ansage, dass ein solches Verhalten in den genannten „wünschenswerten und antisexistischen Zusammenhängen“ keinen Platz hat und nicht toleriert wird, ist nicht etwa zu vergleichen mit Knaststrukturen sondern gleicht vielmehr dem konsequenten Umsetzen von emanzipatorischen Idealen, die sonst zu reinem Zierwerk auf Demoplakaten und Flyertexten verkommen.

Dies ist nicht „nix“.

Was hier bleibt ist das Herbeibefürchten eines Lynchmobs und auch Sprachbilder wie „Schmierereien und beschmiert“ sind eine klare Wertung, im Übrigen Begrifflichkeiten, die einem bürgerlich konservativ entlehnten Duktus entsprechen. Öffentliche Plätze zu nutzen, um das Private zu politisieren ist seit jeher ein wichtiges Werkzeug emanzipatorischer Praxis. Es kann Ausdruck der Wut der Betroffenen und Unterstützenden sein, die sich Raum sucht, da sie sonst nicht gehört wird. Dass sich nun Menschen mit Fackeln und Heugabeln auf den jeweiligen Straßen versammeln, ist ein eher unwahrscheinliches Szenario. Was jedoch durchaus passieren kann, ist eine Umverteilung der Angst auf den Täter, ein Rausreißen aus der bisherigen Sicherheit. Ein Luxus, der den Betroffenen seiner Gewalt leider seit zum Teil Jahren nicht gegönnt wird. Ist das bereits ein Teil der angesprochenen und verurteilten Exekutiven? Möglicherweise. Somit eine gute Überleitung zum nächsten Punkt:

Kritik: Die Sache mit der (fehlenden) Gewaltenteilung

Die verfassende Person sieht im Vorgehen der Betroffenen und der Unterstützenden eine Aneignung von legislativer, judikativer und exekutiver Gewalt. Begrifflichkeiten aus dem Rechtsstaatsjargon. Das Verhältnis linker, emanzipatorischer Politiken zu jenen Gewalten ist denkbar diffizil. Einerseits werden sowohl die gesetzgebenden, die richtenden und besonders die ausführenden Institutionen sinnvollerweise kritisiert bis angegriffen. Ebenso sinnvoller Weise wird jedoch auch eingeräumt, dass das zumindest theoretische Vorhandensein von auf Gesetzen basierender Anklage und („fairen“) Prozess ein Privileg ist, was in anderen Staatsformen weniger bis nicht vorhanden ist und dessen Abwesenheit sich realpolitisch selten als Vorteil für emanzipatorische Praxen darstellt.

Was passiert nun, wenn diese Gewaltenteilung im „positivem“ Sinne auf Unterstützer*innenarbeit angewandt wird? Es wird kritisiert, dass hier „Richter*innen“ und „Henker*innen“, sowie die Gesetzgebenden zu einer Person werden. Abgesehen vom tendenziös anmutenden Sprachbild stecken in dieser Kritik mehrere Grundannahmen und Unterstellungen, deren genauere Analyse sich lohnt:

1. Betroffene und Unterstützende werden zu „einer (nicht kompetenten) Person“

Dass sich hier Menschen zwar die Parteilichkeit für die Betroffene und deren Bedürfnisse zur Grundlage machen, jedoch weiterhin Individuen sind, die gemeinsam Strategien erarbeiten und darüber diskutieren, wird hier verkannt. In der Unterstützungsarbeit summiert sich eine Vielzahl von Erfahrungen, Argumenten und Sichtweisen, die in oftmals lang andauernden Treffen und unter Einbezug von theoretischer und praktischer Auseinandersetzung Dritter mit der Thematik zusammengebracht werden, mit dem Ziel, die Betroffenen mit ihren Erfahrungen nicht allein stehen zu lassen. Auch geht es hier bei weitem nicht nur um das „richten“ oder gar „hängen“ der Täter, sondern wie schon erwähnt um wesentliche und alltägliche Unterstützung der Betroffenen. Mit der Grundaussage wird wieder das Bild eines wütenden Mobs gezeichnet, der in selbsternannter Allerhabenheit nach Lust und Laune agiert und als nahezu so gefährlich angesehen werden muss, wie die Diktaturen, die als Negativbeispiel angeführt werden können wenn aufgewiesen wird, was ohne Rechtsstaatlichkeit passiert.

2. Besser doch wen fragen, der sich damit auskennt

In die eben aufgeführte Logik passen auch die Anmerkung/ Unterstellung, dass Unterstützer*innen mit dem was sie tun überfordert sein könnten und der anschließende Rat, sich an professionelle oder gleich staatliche Institutionen zu wenden. Hier wird sowohl davon ausgegangen, dass Unterstützer*innen nicht sehr wohl kompetent sein können (sich beispielsweise Personen unter ihnen befinden, die auch auf Lohnarbeitsebene mit Betroffenen arbeiten oder ähnliches). Dies mutet mir recht paternalistisch an. Weiter wird einfach vorausgesetzt, dass Beratungsstellen und ähnliche Strukturen grundsätzlich nicht genutzt werden würden. Das dies durchaus oftmals, wenn von den Betroffenen gewünscht, parallel ohnehin schon geschieht, scheint nicht denkbar. Aus meiner eigenen Arbeit und Erfahrung kann ich nur berichten, dass dies oftmals zu den ersten Schritten gehört.

Was den Hinweis betrifft, mensch möge doch in Betracht ziehen, den offiziellen Weg der Anzeige zu gehen, besonders wenn es sich um Straftatbestände handelt, finde ich persönlich besonders bedenklich. Über die theoretische Möglichkeit des Ganges zur Polizei sind sich die meisten Betroffenen wohl bewusst. Ich habe auch noch von keiner Unterstützer*innengruppe gehört, die Betroffenen bei entsprechendem Wunsch abgeraten oder gar allein gelassen hätten. Es muss jedoch klar sein, was eine solche Entscheidung für Betroffene bedeutet: lange Befragungen seitens der Polizei und später eventuell, sollte es tatsächlich zur Verhandlung kommen, seitens von Richter*innen und Anwält*innen. Dies kann nicht nur retraumatisierende Auswirkungen auf die Betroffenen haben, besonders da oft Details vor fremden Menschen immer und immer wieder erzählt werden müssen und ein andauernder Zweifel/ Beweispflicht im Raum steht, wo es selten vor Gericht wirksame Beweise (ärztliche Atteste etc) gibt. All dies gepaart mit der Aussicht, dass im Endeffekt oftmals eine geringe oder gar keine Verurteilung stattfindet. Ob Betroffene dies wünschen oder ablehnen, vielleicht aus ideologischer Sicht, sollte ihnen selbst überlassen bleiben. Außerdem drängt sich hier in Hinblick auf die Mittel der staatlichen Judikativen ein gewisser Widerspruch zu der anfänglich von der verfassenden Person geäußerten Kritik an „Knast und Isolation“, aber das nur am Rande.

3. „My body my rules“ versus Richter*innen und Henker*innen- Logik

„Gewaltenmonopol“ im Falle sexualisierter Gewalt bedeutet in der Praxis:

  • Selbstbestimmtheit über psychisches und physisches Wohlergehen inklusive Grenzsetzung (Legislative)
  • Benennung der Überschreitung und Verletzung von Grenzen (Judikative)
  • Forderung nach und Durchsetzen von Konsequenzen nach Überschreitungen und Verletzungen (Exekutive).

 

Ich muss mich immer wieder fragen, was genau an diesen simplen Prinzipien emanzipatorischer Praxis so falsch ist? In der Praxiserfahrung ist mir bewusst, dass es hier viele Ängste und Schreckensszenarien gibt. Was, wenn eine Person aber so zu unrecht „verurteilt“ wird? Und überhaupt, wenn jede*r für sich selbst entscheidet, was Grenzüberschreitung bedeutet, woher sollen das alle anderen wissen und danach handeln können??

Diese Diskussionen sind nicht neu und füllen spätestens seit den 80ern unzählige Seiten Papier, Blogtexte, hitzige Auseinandersetzung und mehr. Ich möchte mich hier auf ein paar wenige, wiederum aus meiner Erfahrung (die sich aus persönlichen und praktischen Erleben und aus dem Lesen und der Auseinandersetzung mit vielen, vielen der genannten Seiten speist) entspringende Aspekte eingehen:

  • Sich als Betroffene zu outen und für sich einzustehen ist verdammt schwierig und birgt weit mehr Gegenwind und Gefahr innerhalb von linken Zusammenhängen, als vielen klar ist. Rein zum Spaß/aus Rache oder um jemanden zu diffamieren eine solche Anstrengung und deren Konsequenzen (Missgunst, selbst ausgeschlossen werden, mal verdeckt mal ganz offen angegriffen werden…) auf sich zu nehmen, ist kaum lohnenswert und wird selten passieren.

 

  • Den Beispielen in denen es trotzdem (vermeintlich) passiert ist („aber in X-Stadt gab es letztens diesen Fall, da ist Person Y total fertig gemacht wurden und überall rausgeflogen, dabei kam später raus, dass seine Ex… und so weiter und so fort“), stehen in jeder Stadt, in jedem Zusammenhang eine wesentlich größere Zahl von Betroffenen entgegen, die sich aus Angst/ Scham/ Resignation etc lieber aus Polit- und Sozialzusammenhängen raus ziehen, als den*die Täter*in zu benennen und die Räume für sich selbst zu fordern (was leider sehr verständlich ist).

 

  • Kommunikation hilft. Hast du Angst davor, eine Grenze zu überschreiten, frag. Und: Wir haben alle bereits mindestens ein mal die Grenzen anderer überschritten, ohne es zu wollen. Ich habe das getan und du/ihr auch. Vielleicht sind wir darauf hingewiesen worden und hoffentlich haben wir uns dann entschuldigt, anstatt uns zu verteidigen. Manche Grenzen sind für uns schwer sichtbar und deren Überschreitung wird in den seltensten Fällen mit Ausschlüssen etc. geahndet, also bitte keine Panik. Andere Grenzen sind groß, klar, deutlich und allgemein verständlich. Wer diese missachtet, sollte mit Konsequenzen zu rechnen haben.

Weiter muss auf die implizite Forderung, die mit der Kritik an Unterstützer*innengruppen und deren „Gewaltenmonopol“ einhergeht geschaut werden. Wenn Betroffene und Unterstützende also mindestens einen, wenn nicht gleich zwei oder alle drei Gewalten abgeben sollen, so stellt sich doch die Frage, welche davon und an wen? Wer soll die Regeln festsetzen innerhalb „der Linken“? Wer soll „objektiv“ urteilen, auf welcher Grundlage und mit welcher Konsequenz? Soll die Betroffene sich von Dritten befragen lassen, Details ihrer Erfahrungen und eventuellen Traumatisierungen auf den Tisch legen? Damit dann entschieden werden kann, ob die Betroffene „tatsächlich Betroffen“ und der „Beschuldigte“ (wie bereits aufgefallen sein dürfte, habe ich diesen Begriff ob der Implikation, dass die Benennung seitens der Betroffenen als Täter nicht ausreicht, bewusst vermieden) tatsächlich Täter ist? Auf welchen Grundlagen soll das geschehen? Wie sieht die Beweisführung aus und wer ist überhaupt dazu in der Lage? Und zu wessen Schutz/Gunsten würde dies im Endeffekt geschehen? Und im Anschluss: wer würde dann über Konsequenz entscheiden und auf welcher Grundlage?

Bei genauerer Betrachtung stellt sich für mich klar raus: dem Prinzip emanzipatorischer Selbstbestimmung Aller wird aus Panik um die Fehlverurteilung Einzelner (und wohl auch immer der immanenten Angst, man selbst oder eine nahestehende Person könnten eben davon irgendwann betroffen sein) die vage Forderung nach einer Art szeneinternen Justizapparat entgegengestellt, vor dem sich ja wiederum eigentlich so oft gefürchtet wird.

Schlussakt: Eine Bitte an alle „Beobachtenden“

Zunächst: Keine*r hat Bock darauf. Es ist eine unbequeme, eine unschöne Tatsache, die unseren Utopien und Idealen entgegen spricht. Aber die erste und wichtigste Erkenntnis ist, dass wir alle Täter*innen kennen. Vergewaltiger*innen sitzen nicht isoliert in Büschen, sondern es sind (auch) unsere Freund*innen, Genoss*innen, Mitbewohnis, Affären und Partner*innen. Ist scheiße, ist aber so.

Genauso unbequem: Sexualisierte und partnerschaftliche Gewalt gehören nach wie vor zu den Gewaltformen, die auch in linken Zusammenhängen ins Private gedrängt werden, indem sie nicht selten als „zu brenzlig“ angesehen werden, um konsequent zu handeln. Denn again, die allgegenwärtige Angst der Fehlverurteilung und die Panikmache vor dem feministischen Mob, der sofort kommt und den Beschuldigten jeglicher Lebensgrundlage entzieht. Diese Angst ist so riesig, dass Täter, wie auch im aktuellen Fall, über Jahre, gar Jahrzehnte ein leichtes Spiel haben und kaum Konsequenzen fürchten müssen.

Ich möchte mit meinem Text alle Lesenden, und besonders die „kritischen Beobachter*innen“ dazu einladen (um nicht zu sagen auf ihre Verantwortung aufmerksam machen), zunächst sich selbst und ihre eigenen Ängste zu reflektieren. Und ja, das ist im Endeffekt immer das schwerste. Aber genau das sind Menschen mit emanzipatorischen Idealen sich selbst und anderen schuldig!

Es ist verflucht leicht, sich Ängsten und Befürchtungen hinzugeben und Menschen/ Gruppen, die sich gegen Gewalt wehren vorschnell als Kavallerie der blinden Wut zu diffamieren und somit zu versuchen, sie mundtot zu machen. Schließlich ist es enorm wichtig, eigene Informationslücken zu erkennen und damit auch vorschnelles Voraussetzen zu enttarnen. Weißt du, liebeR BeobachterIn und VerfasserIn von Kritik denn tatsächlich all das, was du zu wissen glaubst? Weißt du, wann sich welche Gruppen zur Unterstützung zusammengefunden haben und welche Arbeit diese tatsächlich sichtbar und unsichtbar für andere seit Wochen täglich leisten? Weißt du, ob es auch Unterstützung/ Auseinandersetzung mit dem Täter gibt? Über welche Kompetenzen all diese Personen verfügen und auf welche Ressourcen/ Gruppen/ Beratungsstellen längst zurückgegriffen wurden? Weißt du, wie es den Betroffenen zum Teil seit Jahren geht und wovor du in Relation dazu den Täter zu schützen versuchst? Weißt du, welche Ängste du schürst und welchen Machtmechanismen du damit tatsächlich in die Hände spielst? Und was ist es eigentlich tatsächlich, was dich zum Aufschrei bewegt?

In guter Hoffnung.